Ein Ausstellungsbesuch und die Frage, wer gestaltet eigentlich das Wohnen?
Wie wird Wohnen zwischen dem Anspruch als menschliches Grundbedürfnis und als Ware in einem von Privatisierung und Finanzialisierung bestimmten Wohnungsmarkt verhandelt? Und wie schlägt sich die Aushandlung darüber sozial und materiell nieder? Mit diesen grundlegenden Fragen hat unser Graduiertenkolleg zum Ende der Ausstellung ‚Our House‘ das Museum Giersch besucht. Wir wollten uns über künstlerische Sichtweisen dem Thema Wohnraum nähern. Ausgangspunkt der Ausstellung war, wie wir (zusammen) wohnen und wie Wohnen zukünftig gedacht werden kann.
Im Zentrum stehen die Bewohnenden selbst – vorrangig Menschen, deren Wohnsituation angesichts steigender Mietpreise, knappem Wohnraum und beschränkten Zugängen zu Wohnraumversorgung zunehmend prekären Lebenssituationen ausgesetzt sind.
In die einzelnen Räume der früheren Villa und großbürgerlichen Wohnhaus sind verschiedene Künstler:innen mit ihren Arbeiten ‚eingezogen‘. Sie widmen sich neben vergangenen Wohnsituationen auch aktuellen Wohnrealitäten, wie prekären Wohnsituationen Geflüchteter, den Herausforderungen des familiären Zusammenwohnens während der Lockdowns der COVID-Pandemie und sich verstärkenden sozialen Ungleichheiten. Über den Flur verbindet die Ausstellung die einzelnen künstlerischen Positionen zu einer ‚Wohngemeinschaft‘ und stellt gleichzeitig Bezüge zu gegenwärtigen Herausforderungen der Stadt Frankfurt/Main um bezahlbaren Wohnraum, Verdrängung, den Stellenwert sozialer Wohnungsversorgung und Migration verbinden her.
Es wird deutlich: der vermeintlich private Wohnraum ist dabei mehr als nur ein physischer Raum, sondern bildet auch einen emotionalen Ort der Identifikation. Darüber hinaus beinhalten Zuschreibungen als die ‚eigenen vier Wände‘ oder als ‚Zuhause‘ aber auch einen sozialen Raum und Stellenwert gesellschaftlich-kulturellen (Zusammen)Lebens ab. Um die Auseinandersetzungen und Herausforderungen im Wohnalltag besser zu verstehen, muss das große Ganze mit betrachtet werden. Der Wohnraum ist also als ein Teil des komplexen Zusammenspiels von Wohnungspolitiken, Marktmechanismen und gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen.
In einigen der Promotionsvorhaben unseres Graduiertenkollegs geht es um Wohnungslosigkeit, die Auswirkungen von überbelegtem Wohnraum und daraus folgenden sozialen Praktiken aber auch wie gebauter Wohnraum auf Empfindungen von Einsamkeit wechselseitig aufeinander einwirken. Wir fragen danach, wie sich neue Wohnformen und Bedarfe in den vorhandenen Wohnbestand einfügen lassen und wie Wohnraum bewirtschaftet wird. Dabei näher wir uns an der Schnittstelle von baulich-materiellen Situationen, sozialer Verhältnisse und ökologisch-nachhaltiger Herausforderungen, wie sich Wohnen gesellschaftlich wie räumlich wandelt.
‚Our House‘ versucht über einen museal-künstlerischen Zugang ein Bewusstsein für und eine (kritische) Reflexion der eigenen Wohnsituation bei den Besuchenden anzustoßen und einen öffentlichen Diskussionsraum für das vermeintlich so private Wohnen zu schaffen. Bspw. ermöglicht das kuratorische Team des Museum Giersch durch Pinnwände oder Freiflächen an den Ausstellungswänden kreative Meinungsäußerungen für das Publikum.
Unser Graduiertenkolleg strebt über öffentliche Veranstaltungen und in der Zusammenarbeit mit Partner*innen aus Praxis und Zivilgesellschaft ebenso an. Auf unterschiedliche Weise wollen wir die gesellschaftliche Aushandlung um eine sozial- und ökologisch-verträgliche Wohnraumversorgung ergründen, begleiten und weiter vorantreiben. Über anwendungsbezogene Forschungsperspektiven soll damit ein öffentlicher Dialog angeregt werden, der den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis zur Wohnungssituation begleitet. Wir freuen uns auf spannende Formate und erkenntnisreichen Austausch.