Beste Wünsche zum 100sten!

Journal/General, Diskussion

Zwar sind die Bauten der Berliner Welterbe-Siedlungen geschützt, doch ihre weitreichende Privatisierung konterkariert das Erbe der modernen Wohnreformbewegung.

lehrforschungsprojekt whose architecture whose city btu cottbus
Hellgelb: Kommunal und genossenschaftlich errichtete Welterbe-Siedlungen der Berliner Moderne, heute privatisiert. Schwarz: Noch heute kommunal oder genossenschaftlich bewirtschaftete Welterbe-Siedlungen (Gartenstadt Falkenberg und Siedlung Schillerpark). Abb.: Die Collage entstand im Rahmen des Lehrforschungsprojekts „Whose Architecture? Whose City?“ an der BTU Cottbus.

100 Jahre Berliner Siedlungen der Moderne

Die Hufeisensiedlung in Britz, 1925 bis 1930 nach Plänen von Bruno Taut und Martin Wagner erbaut, feiert in diesem wohnungskrisengebeutelten Sommer ihr Jubiläum. Zusammen mit fünf weiteren Siedlungen wurde sie 2008 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen – als Repräsentanten der sozialpolitischen Wohnreformbewegung zur Bewältigung einer historischen Wohnungskrise. Parallel zum Nominierungsprozess bereitete die Privatisierung dieser Bauten bereits den Boden für die jüngste Wohnungskrise in der Hauptstadt.

Die sechs Berliner Welterbe-Siedlungen umfassen 6182 Wohneinheiten. Davon wurden 5751 Wohneinheiten privatisiert. Lediglich die 431 Wohneinheiten der Gartenstadt Falkenberg und der Siedlung Schillerpark sind nach wie vor genossenschaftlich getragen. Dabei lohnt sich ein Blick in die Nominierungsdatei der UNESCO World Heritage Convention: „Die sozialen Wohnsiedlungen, die im Berlin der 1920er gebaut wurden, vereinigen als Erbe alle positiven Errungenschaften der frühen Moderne. Sie repräsentieren eine Periode, in der Berlin weltweit respektiert war für seine politische, soziale, technische und kulturelle Fortschrittlichkeit. Dieses kreative Umfeld ermöglichte die Entwicklung der Siedlungen, die sowohl als Kunstwerke als auch als gesundheitliche und sozialpolitische Errungenschaften betrachtet werden können.”

Als Architektur-Perlen sozialen Wohnens erlangten die Siedlungen der Moderne zwar Welterbestatus, die sozialpolitischen Errungenschaften des guten Wohnens für alle – nämlich die soziale Eigentumsform und Bewirtschaftung – wurden jedoch nicht erhalten. Obwohl der gemeinschaftliche Gedanke prägend war für das Architektur-Erbe der klassisch modernen Wohnsiedlungen, spielte die demokratisierte Bewirtschaftungsform kaum eine Rolle in der Nominierung. Die soziale Infrastruktur und vielfältigen Gemeinschaftsräume der Siedlungen wurden in der Nominierung hingegen betont: „Die Wohnsiedlungen wurden mit Gemeinschaftseinrichtungen entworfen, die eine vorbildliche Bandbreite sozialer und Service-Infrastrukturen anboten, sowie ein breites Spektrum an Gemeinschafts- und Veranstaltungsräumen, die Modelle umfassten wie das Experiment genossenschaftsbasierter Gemeinschaften, Tauts ‚Außenwohnraum‘ und Scharouns Idee der ‚Nachbarschaft‘.“

Den Boden entzogen

Als privatisiertes Denkmal zeigt sich die Infrastruktur der Gemeinschaftsräume heute jedoch weniger sozial. Im Seminar „Architecture City Space“ des Studiengangs World Heritage Studies an der BTU Cottbus untersuchten wir von 2013 bis 2018 verschiedene Welterbe-Siedlungen. Die Studierenden zeichneten beispielhaft zunehmende Verdrängung und Schließung gemeinschaftlicher Räume in der Weißen Stadt in Reinickendorf nach.

Auch die soziale Kontinuität der Bewohnerschaft durch generationenübergreifende Wohnungsbindungen war in der Nominierung erwähnt worden: „Bewohner geben die Verträge oft von einer Generation zur nächsten weiter. Ein neues Konzept der räumlichen und sozialen Struktur wurde mit diesen Wohnsiedlungen in Berlin implementiert.” Soziale Struktur und Kontinuität hängen jedoch nicht allein von der geschützten baulichen Form ab, sondern auch von der Eigentumsform. Die Boden- und Eigentumsfrage ist laut Studien nämlich entscheidend für Mietpreisentwicklungen: Je höher der Anteil an gewinnorientiert wirtschaftenden Wohnungsbeständen, umso drastischer verlaufen Verdrängungsprozesse.

Die Wohnungsfrage ist eine Verteilungsfrage

Das Schicksal der Ikonen des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus der 1920er Jahre steht sinnbildlich für die neoliberale Transformation der wohlfahrtsstaatlichen Wohnungsversorgung am Ende des 20. Jahrhunderts, die sich in Finanzialisierung zeigt. Mit der umfangreichen Privatisierung kommunalen Wohnungsbestands entzog sich Berlin den Boden, um die angemessene Versorgung mit Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten sicherzustellen und steuernd auf die bedarfsgerechte Verteilung einzuwirken.

Von einer „Rückkehr der Wohnungsfrage“ spricht die interdisziplinäre Wohnungsforschung, seit Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen und ohne Vermögen wieder breit von Wohnungsnot betroffen sind. Dabei steht pro Kopf durchschnittlich immer mehr Wohnfläche zu Verfügung. Die derzeitige Wohnungsfrage ist also eher eine Verteilungsfrage ausreichend vorhandener Ressourcen zum Wohnen. Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner weiß um den Zusammenhang von Privatisierung und aktueller Wohnungskrise. Beim Berliner Volksentscheid 2021 stimmten 59,1 Prozent für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Entzündet hatte sich das Volksbegehren an prekarisierenden Vermietungspraktiken der Deutsche Wohnen, deren Logo ausgerechnet die ikonische Hufeisensiedlung schmückt.

Die Expertenkommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ sieht geltendes Recht im Einklang mit der Umsetzung des Wahlergebnisses. Wie in der Entstehungszeit der Siedlungen der Moderne bedarf es auch heute struktureller Reformen zur Bewältigung der aktuellen Wohnungskrise. Ein Anknüpfen an sozialpolitische Errungenschaften der modernen Wohnreformbewegung wäre jetzt möglich.

Katrin Rheingans

Der Beitrag ist in der BAUWELT 17.2025 vom 12. August 2025 erschienen unter BAUWELT – Beste Wünsche zum 100sten!