In Anbetracht der ambivalenten Rolle von städtischen sozialen Bewegungen in Hinblick auf ihr Potenzial, einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel anzustoßen, diskutiert der Beitrag das Verhältnis von wohnungspolitischen Protesten zu staatlichen Institutionen. Angesichts der Rückkehr der Wohnungsfrage ist es städtischen sozialen Bewegungen in den letzten Jahren vielerorts gelungen, Einfluss auf (lokal-)staatliche Wohnungspolitiken zu gewinnen. Allerdings konnten die dominanten Staatsapparate zugleich die Kernprinzipien neoliberalen Regierens, wie etwa die Privilegierung der profitorientierten Wohnungswirtschaft, Austerität in Bezug auf öffentliche Ressourcen und Liegenschaften sowie der Vorrang von Marktmechanismen, erfolgreich institutionell absichern. Dadurch werden die Forderungen wohnungspolitischer Proteste, die auf einen Bruch mit marktorientierten Ansätzen abzielen, häufig entweder entschärft oder in marktkonforme Maßnahmen kanalisiert. Aus Sicht materialistischer Staatstheorie wird diese Konstellation als postneoliberal charakterisiert, da zwar hegemoniale Konsense bröckeln, jedoch die strategische Selektivität der Staatsapparate, in die sich seit Jahrzehnten neoliberale Rationalitäten und ein Regime der Austerität in materiell verdichteter Form eingeschrieben haben, bislang grundlegende wohnungspolitische Veränderungen blockieren.
Der Staat als Adressat städtischer sozialer Bewegungen. Wohnungspolitische Kämpfe und postneoliberale Konstellationen
- Sebastian Schipper
- ZFW – Advances in Economic Geography
- https://doi.org/10.1515/zfw-2020-0027